Rind, Rinderzucht

Die Geschichte des Menschen ist nicht nur eine des Fortschritts, sondern auch eine des Miteinanders mit der Natur – und kaum ein Tier verkörpert diese Verbindung so sehr wie das Rind. Seit Jahrtausenden gestaltet die Rinderhaltung unsere Umwelt mit, und noch heute spielen Rinder eine zentrale Rolle in der Erhaltung unserer Kulturlandschaften. Was auf den ersten Blick wie reine Fleisch- oder Milchproduktion wirkt, ist in Wahrheit ein komplexes Zusammenspiel von Ökologie, Kultur und Landwirtschaft. Rinder sind Landschaftspfleger, Biodiversitätsförderer, Klimaschützer und Träger regionaler Identität zugleich. In Zeiten ökologischer Krisen rückt diese uralte Beziehung wieder in den Fokus: Können Mensch und Rind gemeinsam Lösungen für eine nachhaltige Zukunft bieten? 

Die Rolle der Rinderhaltung in der Landschaftsgestaltung 

Die Rinderhaltung hatte einen maßgeblichen Einfluss auf die Landschaft, wie wir sie heute kennen. Rinder haben somit zur Entstehung und Erhaltung von Grünlandflächen beigetragen – man muss bedenken, dass ohne sie heute wohl vielerorts alles zugewachsen wäre.  

Durch selektiven Biss und Tritt schufen Rinder offene Weidelandschaften, die ursprünglich von Waldgebieten bedeckt waren. Diese Flächen entwickelten sich zu artenreichen Mosaiken aus Gräsern, Kräutern und Gehölzinseln, die bis heute als Kulturlandschaften erhalten blieben. Ohne die Beweidung würden viele Gebiete, wie zum Beispiel Almwiesen oder Flussauen, verbuschen und langfristig wieder in das Stadium des Waldes zurückkehren.  

Rinder und die Artenvielfalt 

Ökologisch gesehen tragen Rinderweiden erheblich zur Artenvielfalt bei: Auf intensiv bewirtschaftetem Grünland liegt deshalb die Zahl der Arten etwa bei 15 bis 20, während auf extensiv geführten Flächen 30 bis 45 Pflanzenarten vorkommen. Wobei seltene Pflanzen vom selektiven Fressverhalten der Rinder profitieren.  

Zudem spielen diese Flächen eine wichtige Rolle in der Kohlenstoffspeicherung, da sie durch dichte Durchwurzelung und Humusbildung bis zu 1 Tonne Kohlenstoff pro Hektar und Jahr binden. Das Grasland wirkt auch positiv auf das Wassermanagement, indem es den Oberflächenabfluss um 50 % reduziert und so Hochwasser vorbeugt, während es gleichzeitig Trockenperioden abpuffert.  

Rinder und Landschaftspflege 

Moderne Landschaftspflegeprojekte mit robusten Rinderrassen erhalten halboffene Weidelandschaften, die bedrohten Arten wie Kiebitz und Uferschnepfe als Lebensraum dienen. Die Kotstellen fördern zudem die Entstehung von Mikrohabitatstrukturen, die Insekten wie Heuschrecken und Spinnen unterstützen sowie die Bodenfruchtbarkeit gewährleisten.  

Darüber hinaus tragen die Weidetierarten auf allen Weiden als „Samentaxi“ zur Aufrechterhaltung der biologischen Vielfalt durch die Verbreitung von Pflanzensamen bei – im Magen-Darmkanal, mit dem Kot oder der Erde an den Klauen und Hufen. Die Samen kleben im Fell beziehungsweise in der Wolle von Weidetieren fest und werden so weiterverbreitet. 

Diese traditionellen Beweidungssysteme, wie zum Beispiel auch die Almwirtschaft, bewahren nicht nur die Biodiversität, sondern auch die regionale Identität und dienen als touristische Attraktionen. Ohne die Beweidung durch Rinder würden viele dieser offenen Flächen verbuschen oder bewalden, was die Ausübung so mancher kultureller Praxis (wie zum Beispiel das Skifahren) wohl erschweren würde. 

Fleischkonsum und menschliche Gesundheit 

Die Einführung von Fleisch in die menschliche Ernährung hatte tiefgreifende Auswirkungen auf die physiologische Entwicklung des Menschen. Mehr noch: der Verzehr von Fleisch spielte sogar eine Schlüsselrolle in der menschlichen Evolution. So ermöglichte der Zugang zu fettreichem Fleisch und Knochenmark dem Menschen eine energiereiche Ernährung, die das Gehirnwachstum förderte. 

Rinderzucht und Mensch 

Die symbiotische Beziehung zwischen Mensch und Rind hat die Entwicklung beider Spezies in vielfältiger Weise beeinflusst. Von der Förderung sesshafter Kulturen über die Gestaltung unserer Landschaften bis hin zur Unterstützung der menschlichen Intelligenz. Es ist nicht zu leugnen, die Rinderhaltung war und ist ein zentraler Bestandteil der menschlichen Geschichte und Kultur. 

Rinderzucht in der biologischen Landwirtschaft 

Vor allem in der biologischen Landwirtschaft geht die Rolle der Rinderhaltung weit über die reine Fleischproduktion hinaus. Durch die Beweidung von Weidelandschaften – vor allem auch durch das Beweiden von Grünflächen, die für den Menschen nicht nutzbar gemacht werden können – tragen Rinder maßgeblich zur Erhaltung der Kulturlandschaften bei.  

Die ökologische Bedeutung von Rinderweiden ist dabei nicht nur, wie schon erwähnt, auf die Förderung der Biodiversität beschränkt. Diese umfasst fernab auch den Klimaschutz. Rinder fördern nämlich das Wachstum von Gräsern und Pflanzen. Darüber hinaus verfügen regelmäßig beweidete Flächen über eine widerstandsfähige „Grasnarbe“, was den Boden vor Erosionen durch Wind und Wasser schützt. 

Biologische Rinderzucht: Kohlenstoffspeicher, Wasser und Bodenstruktur 

Ohne bio-landwirtschaftlicher Beweidung könnten diese Böden degradiert werden, was dazu führen würde, dass gespeicherter Kohlenstoff in Form von CO₂ freigesetzt wird. Durch die Erhaltung von Grünland verhindern Rinder somit den Verlust wertvoller Kohlenstoffspeicher. 

Regelmäßiges Abgrasen regt dabei auch viele Pflanzen dazu an, tiefere und dichtere Wurzelsysteme auszubilden. Diese Wurzeln speichern nicht nur Kohlenstoff, sondern verbessern auch die Bodenstruktur. Wodurch der Boden mehr Wasser und Nährstoffe speichern kann. Dies unterstützt eine nachhaltige Bodenfruchtbarkeit und trägt langfristig zum Erhalt von Grünland als Kohlenstoffsenke bei. 

Der Mensch und das Rind: eine Koexistenz mit Zukunft 

Doch die Jahrhunderte lange symbiotische Koexistenz von Mensch und Rind ist dabei noch lange nicht vorbei. In einer Zeit, in der Nachhaltigkeit und Klimaschutz immer wichtiger werden, könnte die gerade die Rindtierhaltung eine Schlüsselrolle in der Bewältigung ökologischer Herausforderungen spielen und gleichzeitig zur Bewahrung regionaler Identität und zum Erhalt der Kulturlandschaften beitragen. 


Titelbild @ Satyam HCR via unsplash (Zugriff 09.04.2025)